Ursprünglich haben Alpenflüsse einen großen Teil der Talböden ausgefüllt und ein komplexes Mosaik von Lebensräumen mit verzweigten Flussarmen, Schotter- und Sandbänken, Restwasserbereichen und Auen gebildet, die durch periodische Hochwässer ständigen Veränderungen unterworfen waren. Seitdem der Mensch die Talböden für sich in Anspruch genommen hat und die Flüsse zur Energiegewinnung nützt, wurden die Flüsse in ein enges Korsett gezwängt. Die begleitenden Ökosysteme wie Auwälder und Schotterbänke mit ihrer ganz speziellen Flora und Fauna sind bis auf wenige Reste verschwunden. Der Schwallbetrieb der Flusskraftwerke und Badeaktivitäten im Sommer machen manchen Bewohnern das Leben zusätzlich schwer.
posted by Rudolf Hofer
Schotter- und Kiesbänke stellen den extremsten Lebensraum in einer natürlichen Flusslandschaft dar. Die Dynamik des Flusses sorgt für ständige Umwälzung von Material und trotz dieser Instabilität auch für Konstanz der Umweltbedingungen, wenngleich zeitweise unterbrochen bzw. räumlich verlagert. Die auf den ersten Blick öd und leblos erscheinenden Schotterbänke bergen bei näherem Hinschauen eine hoch spezialisierte Fauna, die es nur hier gibt. Im Grenzbereich zwischen Wasser und Land dominieren neben Kleinstlebewesen Käfer (Kurzflügler und Laufkäfer) und Spinnen. Die höher gelegenen, mit karger Vegetation bewachsenen Bereiche sind von Trockenheit geprägt (Heißländen) und beherbergen eine eigene, z.T. hoch spezialisierte Flora und Fauna.
In den so lebensfeindlich erscheinenden Biotopen zwischen Wasser und Land liefert der Fluss die Grundlage der Nahrungskette in Form von angeschwemmtem organischem Material und von schlüpfenden Wasserinsekten. Daher findet man hier neben Allesfressern auch viele räuberische Arten.
Diese Lebensgemeinschaft hat „gelernt“ mit der Überschwemmungsgefahr zu leben. Ohne periodische Katastrophen würde ihr Lebensraum von Pflanzen überwuchert und ihre Lebensgrundlage zerstört.
Wer über eine Schotterbank geht, dem wird oberflächlich wahrscheinlich nicht viel Lebendiges auffallen. Die wahre Vielfalt kommt erst zum Vorschein, wenn man Steine oder angeschwemmtes Treibholz umdreht, wo sich die nachtaktiven Tiere tagsüber verbergen. Auch im feuchten Schlick lassen die Spuren nächtlicher Aktivitäten auf eine vielfältige Lebensgemeinschaft schließen (Bild).
Die 3,5 mm kleinen, arteneichen Ahlenläufer (Bembidion spp.), Vertreter der Laufkäfer, sind bestens an den instabilen Lebensraum der Schotterbänke angepasst. Bei Hochwasser weichen sie in Richtung Ufer aus, sie können auch schwimmen und fliegen. Nach Rückgang des Wassers erobern sie sofort wieder die trocken gefallene Schotterbank, wo sie sich von kleinen Tieren ernähren. Man findet sie unter Steinen.
Ebenfalls nachtaktiv, aber auffälliger, ist der bis zu 15 mm lange Rotköpfige Dammläufer (Nebria picicornis). Seine Lebensweise ähnelt der der Ahlenläufer. Im Herbst und im Frühjahr findet man seine Larven unter Steinen (rechtes Bild).
Ein weiterer typischer Vertreter der Laufkäfer an Flussufern ist der etwa 2 cm große Kopfläufer (Broscus cephalotes). Er gräbt Gänge in den sandigen Boden und lauert am Eingang auf Beute.
Kurzflügelkäfer sind auf Grund ihres schlanken, biegsamen Körpers besonders gut an das unterirdische Leben in den Lückensystemen der Schotter- und Sandbänke angepasst. Viele sind nur 1-5 mm groß, leben räuberisch oder ernähren sich von Algen und abgestorbenem Material. Während die meisten Arten nachtaktiv oder unterirdisch leben, sucht der bunt gefärbte Paederidus ruficollis tagsüber nach Beute. Die auffällige Färbung signalisiert nichts Gutes: Sein Blut enthält eine von Bakterien synthetisierte hoch giftige Substanz, das Pederin. Es kann beim Menschen schwere, langwierige Entzündungen verursachen (Dermatitis), wenn es auf zarte Hautstellen gelangt.
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Die Flussufer-Riesenwolfspinne (Arctosa cinerea) zählt mit einer Spannweite von 7 cm zu den größten, aber auch gefährdetsten Spinnen Mitteleuropas. Sie ist an den meisten Flüssen bereits ausgestorben (nur mehr zwei Fundorte in Tirol). Im sandigen, ufernahen Boden legt sie eine mit Spinnseide ausgekleidete Wohnröhre an, die sie nur während ihrer nächtlichen Beutezüge verlässt. Bei Überschwemmung verschließt sie die Röhre und überlebt in der eingeschlossenen Luftblase.
Tagsüber sieht man Kiesbank-Wolfsspinnen (Pardosa wagleri und Pardosa morosa) zwischen den Steinen der Schotterbänke herumhuschen. Im späten Frühjahr tragen die Weibchen den an den Spinnwarzen befestigten Eikokon mit sich herum. Die geschlüpften Jungen werden eine Zeit lang am Rücken mitgetragen.
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Anfang Mai kehrt der Flussregenpfeifer (Charadrius dubius) aus seinem südlichen Quartier zurück. Auf Schotterbänken der wenigen noch unregulierten Flussabschnitten legt das Weibchen vier getarnte Eier in eine flache Mulde im Boden. Nähert sich ein Feind dem Gelege oder den noch nicht flugfähigen Jungen, täuscht der Vogel eine Verletzung vor und lenkt so den Angreifer vom Nachwuchs ab. Eine ernsthafte Bedrohung sind Freizeitaktivitäten des Menschen, die das Ablenkungsmanöver nicht verstehen, den Vogel am Brüten behindern oder das Gelege unabsichtlich zertreten. Hinweistafeln sind daher unbedingt zu beachten, um die stark gefährdeten Bestände des Flussregenpfeifers nicht zusätzlich zu reduzieren.
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Der unscheinbare Flussuferläufer (Actitis hypoleucos) fällt durch seinen schnellen Flug knapp über der Wasseroberfläche auf. Am Boden wippt er, ähnlich wie eine Bachstelze, mit seinem Körper auf und ab. Im Gegensatz zum Flussregenpfeifer versteckt er sein Nest in der Ufervegetation von Schotterbänken und polstert die Bodenmulde mit Pflanzenteilen aus.
Die Deutsche Tamariske (Myrmicaria germanica), ein immergrüner, bis 2 m hoher Strauch, verankert ihre Wurzeln tief im Boden und übersteht so die immer wiederkehrenden Überflutungen und Umschichtungen des Schotters durch den Fluss. Wird durch den Bau von Staustufen die natürliche Dynamik des Flusses gestört, verdrängen andere Pflanzen, insbesondere Weiden, die Licht liebende Tamariske. Die Tamariske ist heute nur mehr an wenigen Stellen zu finden, am häufigsten am Lech.